Nachdem wir im April schon einmal vergeblich gesucht hatten, will ich dieses Mal etwas genauer hinschauen. Berthold hatte mir schon gesagt, dass der Pfad durch die Fincas manchmal fast vollständig zugewachsen ist. Heute ist er frisch gemäht, so dass ich ihn sofort finde und ich mich ein wenig schüchtern an dem allein stehenden Haus in den Feldern vorbeidrücke. Es erfordert ein wenig Mut, das Touristen- und Expats-Ghetto zu verlassen. Jetzt betrete ich wahrhaftig einheimisches Terrain, bin nur noch geduldet.
Durch die Fincas
Ich passiere ein paar einsame Häuser. Ein dicker, noch welpenhaft tappsiger Rottweiler spielt sich auf, hat aber deutlich mehr Angst vor mir als ich vor ihm. Nach einigen hundert Metern gelange ich an ein kleines Gehöft. Mehrere bullige, erschreckend große Kettenhunde gautzen mich zähnefletschend an. Unbeeindruckt von dem Aufruhr grüßen mich die Besitzer fröhlich vom Mittagstisch – ich darf offenbar passieren.
Während ich mich links halte, verebbt hinter mir das Gebell. Noch ein paar Schritte – und die Schlucht liegt vor mir. Ein grandioser Anblick! Ich schätze sie auf etwa einhundert Meter tief und bestimmt drei- bis vierhundert Meter in der Breite. Fast senkrecht fallen die Wände in die Tiefe ab, dicht bewachsen mit niedrigen Bäumen, Gebüsch und Kakteen. Unten braust das tiefblaue Meer mit ungestümer Wucht gegen die schwarzen Felsen. Die eiförmig rundgeschliffenen, bis zu einen Meter großen Kiesel erzeugen ein tiefes, sonores Klackern, wenn sich das Wasser wieder zurückzieht. Das vielstimmige Geräusch brandet die Felswände hinauf. Kleine Falken und überraschend kraftvolle Tauben fliegen behände in die Tiefe.
Der Weg in die Schlucht
Ein gewundener, grob betonierter Pfad führt in die Schlucht hinab. Ich bewege mich vorsichtig, denn ich habe weder Wasser noch ein Telefon dabei. Wenn ich ausgerechnet jetzt einen unbedachten Schritt machte, abrutsche, stolperte oder mir von den steilen, ungesicherten Wänden etwas auf den Kopf fiele, dann ginge es mir schlecht!
Vegetation und Akustik ändern sich mit beinahe jeder Windung des Weges. Während sich die Pflanzen den jeweiligen Gegebenheiten der Schlucht anpassen und jedes Gewächs den für sich optimalen Platz beansprucht, so scheinen sich auch die Geräusche zu verändern, je tiefer ich in den Barranco vordringe. Alles klingt hier unten weicher, voller, stets mit einem kleinen Nachhall. Dennoch scheint mich die Schlucht geradezu zu verhöhnen, als mein mit aller Kraft ausgestoßenes „Uh!“ vollkommen ohne Echo verklingt.
An seinem Boden präsentiert sich der Abgrund geheimnisvoll und fremdartig. Ein mehrere Dutzend Meter in der Höhe und bestimmt zwei- bis dreihundert Meter in der Länge messender Überhang aus massivem Basalt überdacht einen Teil des Grundes der Schlucht. Ich wage es nicht, darunter zu stehen, denn es könnte jederzeit ein Felsbrocken herabstürzen, für den ich kein ernsthaften Hindernis darstellen würde.
Zwei grimmig dreinschauende, junge Kerle kommen mir entgegen. Es sind Harpunenfischer. “Buenaaaas…” – Ihre Fanggeräte klimpern hell, in ihren bluttriefenden Körben erkenne ich im Vorbeigehen Geißbrassen und Papageienfische.
Ein einsamer Strand
Der Strand will hier so gar nichts mit den Touristenstränden gemein haben, deren gelber Sand mit viel Aufwand aus der Sahara herangeschifft und hinter schützenden Wellenbrechern zu einem Badeparadies aufgeschüttet wurde. Dieser Strand ist roh, ursprünglich und ungezähmt. Und unbewacht, weswegen ich auch davon absehe, baden zu gehen. Ich setze mich auf einen der Felsen und erfreue mich an der Abgeschiedeheit und der Brandung.
Der Aufstieg an der anderen Seite der Schlucht entlang kann schnell etwas schweißtrebend werden. Der Weg ist dennoch etwas besser ausgebaut als an der gegenüberliegenden Wand, so dass man recht schnell an einer kleinen Straße – dem Camino del Mar – den Barranco wieder verlässt. Ich gehe noch ein paar hundert Meter rechts die Straße hinunter und komme an einem unscheinbaren Gehöft mit handgeschriebenem Schild vorbei. Einige Familien verlassen gerade ihre Autos und gehen in das offene Erdgeschoss. Das muss sie sein – die “Chuleta-Bude”!
Die “Chuleta-Bude”

Die „Viñedos Malpaís“ – auch bekannt als „Chuleta-Bude“. Hier gibt es riesengroße, gegrillte Kotletts und einen sehr gut trinkbaren Wein.
Die Chuleta-Bude – offizieller Name: Viñedos Malpaís – ist ein recht weitläufiger, unverputzter Raum unterhalb eines ansehnlichen Wohnhauses. “JayJay”, der Wirt, spricht ausgesprochen gutes Englisch. Den gebürtigen Kubaner schätze ich auf Mitte 30. Er hat lange als Englischlehrer gearbeitet und, dank seines spanischen Passes, die USA bereisen können. Gerne zeigt er mir seine Räumlichkeiten, und selbstverständlich darf ich fotografieren. Der Clou ist das Mobiliar: Man sitzt auf kleinen Kabeltrommeln, als Tische dienen …na? Richtig: Große Kabeltrommeln.

Vom Casa und Casita aus kann man die „Chuleta-Bude“ am gegenüberliegenden Hang des Barranco sehen. Wenn der Kamin qualmt, ist der Grill in Betrieb!
Von Donnerstag bis Sonntag ist das Restaurant (nennen wir es ruhig so) geöffnet, immer von mittags bis Mitternacht. Außer sonntags, da schließt es bereits nachmittags um sechs. Wenn der Grill brennt, sieht man die Rauchfahne schon vom Garten der Häuser aus, dann lohnt sich ein Besuch! Der Laden gefällt mir, ich bleibe gern auf ein Viertel Wein und ein wenig Käse.
Zurück geht es entweder denselben Weg durch die Schlucht oder über La Victoria. Ich entscheide mich für letzteres – der Weg über den Ort ist ein wenig weiter, aber deutlich weniger beschwerlich. Äußerst zufrieden kehre ich nach etwa zweieinhalb Stunden zurück.
Bildgalerie der Wanderung
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